ich will ganz offen sein: so sehr ich davon überzeugt bin, dass es unumgänglich ist, Hass und Hetze zu skandalisieren - vor allem dort, wo beides verdrängt und verleugnet wird -, so sehr bin ich immer öfter sprachlos. Aktuell sieht es sehr düster aus in Deutschland. Es erschien mir nie drängender, von der dramatischen Situation zu sprechen, in der sich unsere Gesellschaft befindet, vor allem aber Menschen, die von Hass und Hetze direkt betroffen sind. Andererseits gibt es nichts mehr zu sagen, was nicht schon längst gesagt wurde. Ob wir den grassierenden Antisemitismus seit dem 7. Oktober verurteilten, ob wir von Brandmauern redeten, die gehalten werden müssen, ob wir ein „nie wieder“ beschworen, das zu einem „nie wieder ist jetzt“ wurde: Wir stehen mitten drin in einem immer brutaler werdenden Diskurs, in dem sich Rassismus und Antisemitismus offen und ungehemmt Bahn brechen.
Schon vor den Europa- und Kommunalwahlen war in vielen Teilen Ostdeutschlands von einer Brandmauer gegen Rechtsextremismus kaum noch zu sprechen. Sie ist schon lange gefallen. Ein solcher Satz schreibt sich nicht so einfach, denn in ihm stecken ungeheure Mengen an täglicher Gewalterfahrung: Einschüchterungen, verbale und körperliche Gewalt. Für viele Einwohner*innen ist das Klima einer rechtsextremen Normalisierung schon lange Alltag; nun aber scheint zudem noch ein regionales Regieren ohne AfD unmöglich. Was das für eine am Grundgesetz orientierte Politik und lösungsorientiertes Arbeiten bedeutet, zeigt ein Blick nach Sonneberg nach einem Jahr AfD-Landrat. Angetreten mit dem Wahlversprechen, die Schule zu erhalten, einen Kreishaushalt aufzustellen, die Klinik zu sichern, erlebt Sonneberg nun wirklich ein „blaues Wunder“: Die Kliniken sind insolvent, die Grundschule wird geschlossen, der Landkreis im Süden Thüringens ist finanziell am Abgrund.
Die Rechtsextremen feiern ihre Wahlerfolge als Ermächtigung für ihre menschenfeindliche Agenda, die immer Gewalt bedeutet. Die Gewalt gegen Politiker*innen und Zivilgesellschaft wird weiterhin zunehmen, in Sonneberg legen Engagierte gegen Rechts ihr Engagement wegen persönlicher Anfeindungen und Morddrohungen jetzt aufs Eis. Doch zuerst richtet sich diese Gewalt gegen Menschen, die von Rassismus betroffen sind, wie wir in Grevesmühlen sehen. Dort wird rassistische Gewalt als „cool“ angesehen, Jugendliche feiern sich als Trendsetter und fühlen sich dabei genauso sicher wie die Volksverhetzer, die ihren Hass bei einem Aperol Spritz lachend in die Kamera grölen.
Ich denke dabei an Siegfried Jägers „BrandSätze“ aus den 1990er Jahren: Die Worte von Politiker*innen und Autoritätspersonen schaffen einen Nährboden für Hass, auf dem sich andere ermutigt fühlen zu handeln. Unsere Demokratie schützt sich nicht von allein. Wir alle haben die Verantwortung, gegen ihre Feinde anzutreten, auch wenn sich viele von uns dabei gerade sehr allein fühlen. Aber ich sage Ihnen aus voller Überzeugung: Der Mutlosigkeit entgegenzutreten, die vielleicht direkt nach dem Aufstehen schon gleich das Ruder an sich reißen will, ist entscheidend. Wenn Sie das Privileg haben, sich entscheiden zu können, ob Sie Hass und Hetze wahrnehmen oder abschalten wollen: Bitte schalten Sie nicht ab, halten Sie durch und bleiben Sie dabei! Nicht zuletzt für all diejenigen, die diese Entscheidung nicht treffen können. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir als Amadeu Antonio Stiftung entschlossen und beharrlich bleiben.
Ihre Tahera Ameer Vorständin der Amadeu Antonio Stiftung |