das Land ist endlich aus dem Winterschlaf aufgewacht. Weit mehr als eine Million Menschen gehen in über 200 größeren und kleineren Städten gegen Rechtsextremismus und AfD auf die Straße. Und nie waren die Demonstrationen ein so wichtiges Zeichen. Ein Zeichen der Ermutigung, dass die vielen Engagierten vor Ort dringend gebraucht haben und ihnen den nötigen Rückenwind und die Zuversicht, nicht alleine dazustehen, für die Arbeit im Superwahljahr 2024 geben wird.
Überrascht hat uns weder, dass sich AfDler „mit Rechtsextremen“ trafen und dort Massendeportationen planen - denn die AfD ist eine rechtsextreme Partei, also tut man das dort täglich. Auch dass blanker Rassismus Kern ihrer Agenda ist: keine Neuigkeit. Überraschend ist, dass aus den Reihen der AfD nicht einmal mehr versucht wird, das - wie sonst so oft - zu erklären, rechtfertigen oder relativieren. Seit der Veröffentlichung der correctiv-Recherche bekräftigen führende AfD-Politiker die Vorhaben und Björn Höcke bedauert sogar öffentlich, dass er bei dem Treffen nicht dabei war.
90 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten planen wieder Rechtsextreme in einer Villa bei Potsdam Deportationen. Spätestens jetzt ist für alle demokratischen Politiker*innen der Zeitpunkt, noch einmal ein Geschichtsbuch in die Hand zu nehmen. Und dann kann es nur eine Lehre geben: Mit diesen Menschen darf niemand gemeinsame Sache machen. Auf keiner Ebene, auch nicht punktuell. Ernüchtert hat mich diesbezüglich die Aktuelle Stunde im Bundestag zu den correctiv-Enthüllungen. So berechtigt auch ein Ampel-Bashing oder die Kritik an der Politik der Bundesregierung sein mag, gilt es jetzt strategisch und klar gegen den Rechtsextremismus zu handeln. Wann, wenn nicht jetzt, müssen Polizei und Justiz deutlich machen, dass Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus strafrechtlich geahndet werden und kein Bagatelldelikt sind. Gerade wurden in Sachsen wieder - fünf Jahre nach dem Angriff von Rechtsextremen in Chemnitz - Verfahren gegen drei Angeklagte eingestellt. Ein Freibrief für rechte Gewalttäter und ein fatales Signal, dass diejenigen ungestraft davon kommen, die die Vertreibungsfantasien in die Tat umsetzen. Einer der stärksten Hebel gegen die rechtsextreme Kampagnenmaschinerie wäre eine konsequente Verfolgung von Hasskommentaren im Netz, gegen Desinformation, auch über die wirkungsvollere Regulierung aller Sozialen Netzwerke.
Die Verantwortlichen der demokratischen Parteien begrüßen die Proteste gegen Rechtsextremismus. Sie müssen aber auch versehen, dass sich der Auftrag konkret an sie richtet: Sie sind jetzt in der Verantwortung, zusammen mit der engagierten Zivilgesellschaft, alle demokratischen Akteure bei den Wahlen zu unterstützen und die Kandidat*innen nicht alleine zu lassen. Sonst ist der inzwischen ritualisierte Katzenjammer hinterher unglaubwürdig (dieses Wochenende findet die zweite Runde der Landratswahl im thüringischen Saale-Orla-Kreis statt).
Und ja, Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung sind in der Verantwortung, die verschiedenen Instrumente, die die Eltern des Grundgesetzes als Konsequenz aus dem Nationalsozialismus entwickelt haben – Verbot bzw. Teilverbot, Grundrechtsverwirkung und Amtsunfähigkeit –, hinsichtlich des notwendigen Einsatzes zu prüfen, unabhängig davon, ob es auf eine Opferinszenierung einer Partei einzahlt oder nicht. Dass die AfD nach dieser erneuten medialen Offenbarung ihrer menschenverachtenden Absichten nur bedingt an Zustimmung verliert, sondern sich vor allem im Osten im nahezu ungebremsten Höhenflug wähnt, belegt erneut: Die AfD wird nicht trotz ihrer Radikalisierung, sondern wegen ihr gewählt.
Unser Kurs für dieses Jahr bleibt deshalb klar: Die AfD lässt sich nicht inhaltlich stellen. Sie will spalten, zerstören und unsere offene Gesellschaft zur Not mit Gewalt überwinden. Es bleibt nur, Rechtsextreme immer und immer wieder zu ächten, den demokratischen Trennungsstrich zu ziehen - und kurz-, mittel- und langfristig in die demokratische Kultur zu investieren. In diesem Sinne verstehen wir auch unseren Förderfonds Ostdeutschland. Wir freuen uns, dass wir überall in Ostdeutschland zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen können, die nicht nur punktuell, sondern dauerhaft gegen Rechtsextremismus arbeiten.
So fördern wir zum Beispiel in Sachsen das Festival „Bouncen in Bautzen“, das eine Plattform zur Stärkung einer lebendigen Zivilgesellschaft schafft; vielfältige Aktionen zum ersten Mai in Dresden, um die rechtsextreme Raumgreifung zu verhindern; eine Dokumentationsplattform für Plauen und den Vogtland Kreis, um rechtsextreme Aktivitäten und Strukturen aufzuzeigen; die Vernetzung von Engagierten in Südwest-Brandenburg; Aufklärungsmaterial über die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen oder das demokratische Dorffest im thüringischen Saale-Orla-Kreis. Auch konnten wir im niedersächsischen Gifhorn eine Broschüre für engagierte Kommunalpolitiker*innen fördern, die erste Hilfe für Betroffene von Anfeindungen anbieten will und auch jetzt in Ostdeutschland genutzt werden kann.
Wir danken allen Spender*innen und freuen uns über weitere Unterstützer*innen unseres Förderfonds Ostdeutschland. Lassen Sie uns weiter für klare Kante gegen Rechtsextremismus und eine stabile Brandmauer streiten! Im Superwahljahr, in dem die AfD weiter massiv eine Stimmung von Wut, Frustration und Spaltung schüren wird, und darüber hinaus.
Ihr Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung |