es ist dieses Mal besonders schwer, den Newsletter zu beginnen. Hinter uns liegt ein kräftezehrendes Jahr und das neue, nicht weniger fordernde, wirft bereits seine Schatten. Der Wahlsieg des rechtsextremen Geert Wilders in den Niederlanden, von Javier Milei, eines antidemokratischen Anarchokapitalisten, in Argentinien und die mögliche Wiederwahl des Archetypen des autoritären Antidemokraten in Form von Donald Trump in den USA geben die Stoßrichtung vor: Antidemokratie und Menschenfeindlichkeit haben Konjunktur und manchmal kommt es mir vor, als wäre Deutschland das letzte Einhorn ohne rechtsextreme Regierungsbeteiligung.
Die Europa- und Kommunalwahlen im Juni ‘24 in Ostdeutschland könnten das ändern. Rechtsextreme Erfolge an der Wahlurne wären ein weiteres Fanal für die Szene und würden die Prognosen für die drei ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst wohl eher verbessern. In allen ostdeutschen Bundesländern liegt eine rechtsextreme Partei in den Umfragen an erster Stelle. Ein rechtsextremer Ministerpräsident scheint nicht mehr ausgeschlossen. Wir haben aber den Eindruck, dass vielen noch nicht bewusst ist, wie entscheidend vor allem die kommunalen Wahlen werden, denn die Auswirkungen für die Demokratie vor Ort sind erheblich. Für uns Demokrat*innen ist es kurz vor 12.
Wir wollen aber nicht einfach abwarten und hoffen, dass eine Katastrophe mithilfe von Not-Bündnissen demokratischer Parteien abgewendet wird. Deshalb haben wir letzte Woche in Leipzig ein großes Austauschtreffen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen aus ganz Ostdeutschland organisiert, um uns auf die Wahlen vorzubereiten. Um dem nicht allein etwas entgegenzusetzen, sondern unsere Kräfte zu bündeln. Was alle Anwesenden gleichermaßen schilderten: Die Situation war lange nicht mehr so gefährlich und bedrohlich wie im Moment. Die AfD gilt an vielen Orten inzwischen als „normal“, es fehlt an Widerspruch gerade auf lokaler Ebene. Klar war auch, dass die AfD nicht mehr als parlamentarischer Arm, sondern eindeutig als Teil der rechtsextremen Szene bezeichnet werden muss, die ohne Skrupel auch Gewalt als legitimes Mittel benutzen wird. Gewalt, die Minderheiten und demokratisch Engagierte trifft.
Anwesend war auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Ostbeauftragte Marco Wanderwitz, der für ein AfD-Verbot streitet. Es wurde deutlich, dass ein mögliches Verfahren nicht nur Jahre dauern würde, sondern auch nur ein Teil der Antwort sein kann und nicht unmittelbar helfen wird. Wir können nicht warten. Uns bleibt keine Alternative, als jeden einzelnen Tag für unsere Demokratie zu streiten und andere dabei nach Kräften zu unterstützen. Früher haben wir mithilfe unserer Spender*innen kleineren Initiativen ermöglicht, ihre Projektideen umzusetzen. Heute erreichen uns immer mehr Anfragen nach rechtlicher Beratung und dem Schutz von Veranstaltungen. Und uns wird die Frage gestellt, ob wir besonders bedrohte Personen im Falle eines Wahlsieges bei einem schnellen Umzug unterstützen könnten.
Es gerät aus dem Blick, was diese Erfolge einer rechtsextremen Partei für viele Menschen im Alltag bedeutet. Um diese Menschen weiter schützen und unterstützen zu können, brauchen wir dieses Jahr insbesondere auch Ihre Hilfe. Wir werden weiter vernetzen und beraten. Und wir wollen einen Sonderfonds ins Leben rufen, um mit Blick auf die Wahlen schwerpunktmäßig Engagierte zu fördern. Deswegen möchte ich Sie direkt fragen, ob sie uns für 2024 mit einer Spende unterstützen könnten. Wenn Sie dazu Fragen oder weitere Ideen haben, melden Sie sich gerne bei uns per Mail oder nutzen Sie die Überweisungsmöglichkeit auf unserer Website. Unsere Demokratie und die offene Gesellschaft, die wir nicht missen wollen, braucht sie!
Als wäre das alles nicht schlimm genug, verlieren wir gerade auch einige unserer Bündnispartner*innen. Teile der sich als “progressiv” verstehenden antirassistischen Szene geraten immer weiter in erhebliche Erklärungsnot, weil sie ausgerechnet in Deutschland den pogromartigen Angriff der Hamas auf Israel als antikolonialen Widerstand verherrlichen und den daraus folgenden Antisemitismus in Deutschland verharmlosen. Für uns können antirassistische Organisationen mit solchen einseitigen Positionierungen keine Bündnispartner mehr sein. Das droht uns, um Jahre zurückzuwerfen, denn gleichzeitig wird Antisemitismus für rassistische Abschiebedebatten instrumentalisiert und auch antimuslimischer Rassismus greift um sich. Wir sind auf diese Bündnisse angewiesen - doch weder dürfen Antisemitismus und Rassismus gegeneinander ausgespielt werden, noch lässt sich das eine mit dem anderen bekämpfen.
Ich freue mich immer über Ihre Anregungen und Gedanken per Mail und wünsche Ihnen derweil in den Feiertagen eine schöne Zeit mit ihren Freund*innen und Liebsten! Ihr Timo Reinfrank,
Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung
P.S.: Falls Sie noch nach einem Tipp für Geschenke suchen, weise ich gerne noch mal auf das Buch „Judenhass Underground“ unserer Kollegen Nicholas Potter und Stefan Lauer hin, das sich dem angesprochenen Antisemitismus im „progressiven“ Milieu widmet. |