Antisemitismus ist in Deutschland Alltag und wird meistens verharmlost als vermeintliche Kritik am Staat Israel, am Kapitalismus und anderen Ungerechtigkeiten dieser Welt. Was das für Jüd*innen und Juden und für die Demokratie in Deutschland bedeutet, wollten wir mit unseren Aktionswochen gegen Antisemitismus und dem diesjährigen Schwerpunkt „Zero Antisemitism - keine Akzeptanz für jede Form von Judenfeindlichkeit“ deutlich machen und auch insbesondere die jüdischen Perspektiven auf den alltäglichen Antisemitismus, den der es nicht in die Schlagzeilen schafft, sichtbar machen. Aber dieses Jahr ist nichts normal. Auch nicht für die Aktionswochen gegen Antisemitismus, die wir zwei Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel, am Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags auf die Synagoge und den Kiez-Döner in Halle, mit einem Runden-Tisch zur Antisemitismusprävention in Deutschland beginnen wollten, zusammen mit dem Zentralrat, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung und vielen´weiteren wichtigen Partnern der Aktionswochen. Der brutale und bestialische Angriff der Hamas auf Israel, die einen islamistischen Gottesstaat auf dem Gebiet "Palästinas" errichten und dort jedwedes jüdisches Leben auslöschen will, bedeutet auch für die Juden in Deutschland ein Fanal. Israel steht auch für jüdische Menschen in Deutschland als letzter Schutz- und Rückzugsraum vor mörderischem Antisemitismus. Insofern soll die Botschaft des Hamas-Angriffs auch sein, dass Juden nirgendwo auf der Welt sicher sind. Der Beistand für Israel und jüdisches Leben in Deutschland ist also nicht nur eine Konsequenz aus dem deutschen Nationalsozialismus, sondern auch eine Reaktion auf den globalen Antisemitismus. Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Plakate der Aktionswochen um ein Motiv erweitert, dass sie gerne bei uns bestellen können: „Jüdisches Leben ohne Wenn, Israel ohne Aber“. Denn viel zu oft hört die Empathie und das Einfühlungsvermögen mit Jüdinnen*Juden genau dann auf, wenn Israel ins Spiel kommt. Mehr Informationen über die Aktionswochen und Veranstaltung in Ihrer Nähe sind auf unserer Kampagnenwebsite Zero-Antisemitismus.de zu finden.
Angesichts der auf den Hamas-Angriff, der breiten Solidarisierung mit der vermeintlichen Befreiungsbewegung und den daraus folgenden antisemitischen Exzessen auf deutschen Straßen, wie dem mehrfachen Markieren jüdischer Privatwohnungen, getragen von einer unheiligen Allianz von Rechtsextremen, islamistischen Gruppen und sich als progressiv verstehenden, vermeintlichen Linken, steht die bisherige Antisemitismusprävention zu Recht auf dem Prüfstand. Und auch wir stellen uns die Frage, ob wir genug und das Richtige tun. Gerade in Berlin-Neukölln gehen wir regelmäßig in den Austausch und bieten vor Ort wichtige Reflektionsräume und Fortbildungen für die Jugend- und Sozialarbeit zu Antisemitismus und Nahostkonflikt an. Für Schulen haben wir gerade unser „Action Kit“ entwickelt, das bei Auseinandersetzung mit israelbezogenem Antisemitismus auf Schulhöfen unterstützen soll.
Bei unseren Workshops in Schulen merken wir, wie schwierig es ist, überhaupt über Antisemitismus und den Nahostkonflikt zu diskutieren. Häufig ist es schon gar nicht mehr möglich zu reden, weil einige Jugendliche sich weigern, das schiere Existenzrecht Israels anerkennen und deswegen nicht am Workshop teilnehmen wollen. Aber auch ich wüsste nicht, was die Alternative zu antisemitismuskritischer Bildungs- und Beziehungsarbeit sein sollte. Die Polizei, die seit vielen Jahren endlich einmal entschlossen mit massiven Repressionsmaßnahmen gegen Antisemitismus vorgeht, allein jedenfalls wird nichts ändern, wie auch längst überfällige Vereins- und Organisationsverbote nicht. Auch rassistisch aufgeladene Debatten, die pauschal Muslimen Antisemitismus unterstellen und im nächsten Atemzug sogar Abschiebungen fordern, bewirken nur das Gegenteil. Dennoch ist es richtig, jetzt auch muslimische Verbände bei der Bekämpfung von Antisemitismus in die Pflicht zu nehmen. Denn wir müssen überlegen, wie wir wegkommen, davon, dass antisemitismuskritische Bildung immer nur punktuell durch engagierte Lehrer*innen stattfindet,
sondern eher zu einem Regelangebot in Schulen und Jugendeinrichtungen wird. Es ist unser aller Aufgabe Antisemitismus zu ächten, ganz egal wo und in welcher Form er uns begegnet! Antisemitismus darf genauso wie Rechtsextremismus oder Rassismus nicht konsequenzlos bleiben oder als vermeintlich legitime Kritik am jüdischen Staat verharmlost werden, weder in der Schule, in der Kunst noch auf der Straße. In diesem Sinne ist das Motto unserer Aktionswochen Minimalforderung: Zero-Antisemitism! Ihr Timo Reinfrank,
Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung |