erinnern Sie sich noch an den „heißen Herbst“, der uns letztes Jahr drohte? Die Bundesaußenministerin hatte Angst, dass uns „Volksaufstände“ bevorstehen würden. Am 3. Oktober 2022 gingen allein in Ostdeutschland von Binz auf Rügen bis nach Zittau in der Oberlausitz mehr als 100.000 Menschen gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung, den Krieg und hohe Energiepreise auf die Straße — mit mehr als deutlichen prorussischen, rechtsextremen und verschwörungsideologischen Untertönen. Und die Proteste beschränkten sich nicht nur auf den Osten Deutschlands, auch in Bayern und Baden-Württemberg gab es Proteste bis ins kleinste Dorf. Wir haben deshalb vor einem Jahr vor einer „antidemokratischen Kampagnenmaschine“ gewarnt. Unsere Einschätzungen wurden belächelt und der „heiße Herbst“ vom Verfassungsschutz als „laues Lüftchen“ verharmlost. Ein Jahr später zeigt sich, dass diese Kampagnenmaschine ein demokratiefeindliches Milieu verfestigt hat und die Demokratie in Deutschland in einer tiefen Krise steckt. Eine rechtsextreme Partei kann in Ostdeutschland in den aktuellen Umfragen zwischen 29 und 35 % der Wähler*innen hinter sich vereinen und auch im Westen – je weiter südlich man kommt – hat sie massiv zugelegt. In den beiden Westländern, wo in diesem Monat gewählt wird, steht die AfD bei 17 % (Hessen) und 14 % (Bayern).
Diese Entwicklung wird unterstrichen durch Zahlen der gerade von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichten „Mitte-Studie“, die die Studienautorin und unsere stellvertretende Stiftungsratsvorsitzende, Prof. Dr. Beate Küpper, so kommentierte: „Der dramatische Anstieg eines geschlossen rechtsextremen Weltbildes, das ist etwas, das wir in dieser Dramatik nicht erwartet hätten.“ Die Einstellungen, die die neue „Mitte-Studie“ dokumentiert, gehen mit rechter Gewalt auf der Straße einher. In der einen Stadt sind es Anschläge auf Geflüchtete, im Nachbarort wird der Christopher Street Day angegriffen oder am Bahnhof die Regenbogenflagge gegen eine Hakenkreuzfahne ausgetauscht und erst letzte Woche wurden 40 jüdische Gräber geschändet. Für die ein Vierteljahrhundert alte Amadeu Antonio Stiftung heißt das, dass wir also auch die nächsten 25 Jahre mehr als genug zu tun haben, denn genau dafür wurde die Amadeu Antonio Stiftung gegründet: um all dem Etwas entgegenzusetzen. 25 Jahre danach sind die Aufgaben nach wie vor da, doch mit ihrer Hilfe und Unterstützung können wir sie angehen. Denn wir wollen weiter Mut machen. Die Bürgermeisterwahlen Ende September im thüringischen Nordhausen haben bewiesen, dass zivilgesellschaftliches Engagement einen geschichtsrevisionistischen Bürgermeister einer rechtsextremen Partei, trotz anders lautender Umfragen im Vorfeld, verhindern kann. Und auch die repräsentative Mitte-Studie zeigt, dass rund drei Viertel der Befragten sehr wohl zu einer offenen Gesellschaft stehen. Viele Menschen sehen die Herausforderungen und sind bereit, sie beherzt und demokratisch anzugehen. Wir stehen hinter ihnen!
Ihr Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung |