Antisemitismus auf TikTok

Ein Schuh, der neben einer Israel-Fahne abgebildet ist: Das ist keine willkürliche Aneinanderreihung von Emojis, sondern bewusst genutzte Codes zur Verbreitung antisemitischer Ansichten auf TikTok. Doch warum wird Hass und Hetze codiert? Und wie verbreitet ist Antisemitismus auf TikTok?
 
von Denis Gross

Themen Antisemitismus / TikTok / Codes

Antisemitische Codes in den Suchergebnissen (Quelle: Screenshot TikTok)

Nachdem wir in den vergangenen Ausgaben das Thema Erinnerungsarbeit mit der Generation Z (Ausgabe # & #) aufgenommen haben, wollen wir in dieser Ausgabe auf die Problematik des Antisemitismus auf der Plattform eingehen. TikTok ist ein Hotspot für antisemitische Erzählungen, die auf mehreren Ebenen Wirkung entfalten. Dabei fällt es nicht nur dem jungen Zielpublikum oft schwer, diese subtilen Botschaften auf Anhieb zu erkennen.

Antisemitismus auf sozialen Plattformen

Das Stimmungsbild nach einem von der UNESCO, der UN und dem Jüdischen Weltkongress (WJC) veröffentlichten Bericht zur Verzerrung und Leugnung des Holocaust auf sozialen Plattformen im Jahr 2022 ist ernüchternd. Die beauftragten Forscher*innen des Oxford Internet Institutes untersuchten 4.000 Beiträge zum Holocaust auf den großen sozialen Plattformen (Facebook, Instagram, Telegram, TikTok und Twitter). Das größte Problem hat dabei Telegram: 49 Prozent der themenbezogenen Inhalte enthielten verzerrende und verleugnende Desinformation, wobei der Anteil auf besorgniserregende 80 Prozent bei Inhalten in deutscher Sprache steigt. Doch auch auf den stärker reglementierten und moderierten Plattformen sind problematische Inhalte vertreten. So sind es auf Twitter 19 Prozent der betreffenden Inhalte, auf TikTok 17 Prozent, auf Facebook acht Prozent und auf Instagram drei Prozent. Antisemitischer Content findet auf jeglichen Plattformen eine Bühne.

Der Hass kann dabei von einzelnen Personen, Gruppierungen, Organisationen oder Netzwerken ausgehen. Insbesondere TikTok ist für viele antisemitische Akteur*innen eine wichtige Plattform, um ihre Hasspropaganda und -ideologien zu verbreiten. Das liegt unter anderem an dem jungen Zielpublikum, der Logik des Algorithmus und den vielen Schlupflöchern, mit denen eine Moderation umgangen werden kann.

TikTok und die Problematik der Plattformlogik

Entscheidend für die Verbreitung menschenfeindlichen Contents und deren Viralität ist das Nutzungsverhalten der User*innen und die Plattformlogik. Eine erhöhte Interaktion mit Videos – und folglich eine hohe Reichweite – bedingt sich oftmals durch die Emotionalisierung von Inhalten. Insbesondere Wut, Angst und Empörung wirken als wahre Katalysatoren (siehe auch Ausgabe #3 zur Macht das Algorithmus) im Wettbewerb um Aufmerksamkeit.

Das machen sich antisemitische Akteur*innen zu nutzen, indem sie die Inhalte besonders stark emotionalisieren und simple Feindbilder geschaffen werden. Ganz im Sinne der Plattformlogik wird das Kurzvideoformat dazu genutzt, um komplexe Inhalte auf eine spielerische und oftmals undifferenzierte Weise zu vermitteln. Damit eignet sich die Plattform, um Verkürzungen, Verzerrungen und antisemitische Narrative an ein junges Publikum zu vermitteln. Besonders anschaulich wird das in der Vielzahl an antisemitischen Verkürzungen und Erklärungen des Nahost-Konflikts auf der Plattform.

Im Content zum Nahost-Konflikt...

... tummeln sich gefährliche Verkürzungen und Relativierungen

Neben dem Nutzungsverhalten werden auch diverse Strategien genutzt, um einer Moderation durch die Plattform zu entgehen. Es können grundlegend vier Kategorien ausgemacht werden, in denen sich Antisemitismus auf TikTok äußert:

Codierung: Antisemitischer Content wird oft durch Symbole, Emojis, Musik oder Memes versteckt oder verharmlost. Diese chiffrierte Sprache wird meist nur innerhalb der Community erkannt und ist für Außenstehende bzw. Nicht-Wissende nur schwer zu erfassen. Gleichzeitig dient die Codierung zur Umgehung einer Regulierung durch die Plattform, weil der größtenteils KI-basierte Algorithmus diese dann nicht als Hassrede erkennen kann. Neben dem eingangs erwähnten Schuh-Emoji - gemeint ist ein Tritt auf die Flagge Israels als Beleidigung - findet sich auch oft ein sich übergebendes Emoji in Verknüpfung mit der israelischen Flagge. Auch das lange/große Nasen-Emoji als antisemitischer Code bedient klassische antisemitische Stereotype. Neben Emojis werden auch Sounds wie Ausschnitte aus Reden Hitlers oder Goebbels oder auch rechtsextreme Musik genutzt, um Botschaften und Inhalte zu verbreiten. Oftmals werden diese Emojis, Sounds und Filter miteinander verbunden, um Antisemitismus auf mehreren Ebenen wirken zu lassen.

Antisemitische Codes und Sounds - hier in Form von Emojis und einer Rede von﻿ Joseph Goebbels 

Nicht nur jungen Menschen fällt es oftmals schwer, diese Botschaften rechtzeitig zu erkennen und differenziert einzuordnen. Auch in der Wissensvermittlung an Schulen und Jugendeinrichtungen fehlt es diesbezüglich an nötigem Wissen und Erfahrungen. So bleiben Codierungen oft unerkannt und werden munter geteilt.

Narrative: Antisemitismus wird durch falsche oder verzerrte Erzählungen über den Holocaust, Israel oder den Nahost-Konflikt verbreitet. Zum Beispiel werden gefälschte Landkarten oder Comics verwendet, um Israel als einzigen Aggressor darzustellen oder Stereotype über Jüdinnen und Juden zu bedienen. Desinformationen werden gezielt genutzt, um eine Verzerrung der Geschichte vorzunehmen, Feindbilder zu schaffen und das (junge) Zielpublikum zu beeinflussen.

Provokation: Beleidigende, verletzende oder herausfordernde Aussagen und Handlungen finden sich in Fülle in Videos und Kommentarspalten wieder. Es sollen damit z.B. Deutungshoheiten in Kommentarspalten beeinflusst, Menschen direkt angegriffen und/oder herausgedrängt oder unentschlossene Mitlesende manipuliert werden.
tigen Regelialien.

Verherrlichung: Antisemitismus wird durch positive Bezüge auf den Nationalsozialismus, Hitler oder den Holocaust deutlich. Zum Beispiel werden Hakenkreuze oder SS-Uniformen zur Schau gestellt oder Personen und Taten verherrlicht.

TikTok ist sich der antisemitischen Inhalte auf der Plattform bewusst. Nutzer*innen, die nach einschlägigen Hashtags suchen, welche mit der Leugnung des Holocausts in Verbindung stehen, bekommen mittlerweile eine Verlinkung zur Informationsseite aboutholocaust.org. Dringender Handlungsbedarf besteht jedoch weiterhin in der Verfolgung und Meldung von antisemitischen Inhalten durch Plattform. Oftmals fehlt Moderator*innen das nötige Knowhow und die Zeit, solche versteckten Botschaften zu erkennen und richtig einzuschätzen. Eine Verbesserung der Moderationstools, themenspezifische Schulungen und bessere Arbeitsbedingungen sind erste Anknüpfungspunkte, um dem Problem entgegenzuwirken.

Was tun gegen Antisemitismus auf sozialen Plattformen?

Die subtile und ungestörte Entfaltung von Antisemitismus auf der Plattform stellt uns vor diverse Herausforderungen. Neben den allgemeinen Tipps zur Bekämpfung von Desinformation und Hate Speech, die wir in der Ausgabe #5 und #8 thematisierten, ist es wichtig, sich über aktuelle Geschehnisse zu informieren und Vorgehensweisen antisemitischer Akteur*innen zu kennen. Nützlich in der Arbeit mit jungen Menschen ist es, sich an den Fragen „Was muss ich wissen“ und „Wie gehe ich damit um“ zu orientieren, um eine Wissensgrundlage für eine weiterführende Auseinandersetzung – z.B. in Bezug auf soziale Medien – zu schaffen.

Ein Fokus auf Erinnerungsarbeit in Bezug zum NS und des Holocausts kann für Jugendliche eine Chance sein, sich dem Thema anzunähern. Wie TikTok in der Wissensvermittlung mit jungen Menschen genutzt werden kann, haben wir in Ausgabe #20 „TikTok im Unterricht“ thematisiert.

Einen tieferen Einblick in die Produktion von antisemitischen Desinformationsnarrativen auf TikTok bietet der de:hate Report #3 der Amadeu Antonio Stiftung. Auch die Handreichung „Antisemitism in the Digital Age“ in Zusammenarbeit mit der EXPO Foundation und Hope Not Hate gewährt einen tieferen Einblick in das Thema Antisemitismus in digitalen Räumen.

Die Bildungsstätte Anne Frank bietet im Rahmen der antisemitismuskritischen Bildungsinitiative auf TikTok eine wichtige Anlaufstelle, um sich durch immer wieder stattfindende Seminare und ihrem TikTok-Account für das Thema zu sensibilisieren. Auch der Podcast „TikTok Talk“ thematisiert Antisemitismus auf sozialen Plattformen und bietet Anknüpfungspunkte für mögliche Gegenstrategien.

Inwiefern soziale Plattformen bisher an der Bekämpfung von Antisemitismus gescheitert sind und inwiefern Zukunftsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten aussehen können, thematisiert der Report „Failure to protect“ des Center for Countering Digital Hate (CCDH).

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Quellenverzeichnis

Amadeu Antonio Stiftung
Novalisstraße 12 I 10115 Berlin
www.amadeu-antonio-stiftung.de

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