Wie geht man damit um, wenn junge Menschen unbewusst Desinformation teilen? Michelle: Wenn Menschen, egal ob jung oder alt, aus Unwissenheit Desinformation verbreiten bringt es nichts sie zu verurteilen. Man sollte sie darauf hinweisen und versuchen zu erklären, warum etwas, was sie geteilt haben, nicht der Wahrheit entspricht und warum es vielleicht sogar sehr schädlich ist, wenn diese vermeintliche „Information“ die Runde macht. Theresa: Vor der letzten Bundestagswahl gab es aber junge Menschen, die Falschinformationen über die Grünen verbreitet haben. Darauf angesprochen gaben sie zu, dass es sich nicht um tatsächliche Forderungen der Partei handle, aber dies ihr erfolgreichstes Video sei. Wir müssen also auch über das Thema Verantwortung sprechen, die Reichweite mit sich bringt. Klicks sind nicht alles! Das zu vermitteln in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie ist die Herausforderung vor der wir stehen.
Was ratet ihr Pädagog*innen und Eltern wie sie mit jungen Menschen ins Gespräch kommen können zu Desinformationen auf TikTok? Michelle: Zunächst ist es besonders wichtig mit Jugendlichen darüber zu sprechen, warum sie gerne TikTok benutzen, was sie interessiert und was sie sich dort gerne anschauen. Interesse zu zeigen und sie ernst zu nehmen ist ein wichtiger Punkt, bevor man als Ansprechpartner*in wahrgenommen wird, mit der man auch über Inhalte sprechen kann die einem komisch vorkommen oder emotional aufwühlen. Theresa: Der erhobene Zeigefinger bringt uns nicht weiter! Auch wenn es sicherlich genug berechtigte Kritik an der Plattform gibt – wie beispielsweise hinsichtlich des Datenschutzes. Man kann aber auch über die Plattform aufklären, ohne gegen datenschutzrechtliche Verordnungen zu verstoßen, indem man beispielsweise in Gruppenarbeiten ein Erklärvideoskript zu einem bestimmten Thema schreibt und dann erstmal ohne Kamera versucht in einer Minute einen Begriff zu erklären. Wir nennen diese Übung „Erklärs mir in einer Minute!“. Dazu gehört dann eine kleine Recherche und Arbeit mit Quellenmaterial. Während man überlegt, wie man ein Thema einfach und kurz erklärt, lernt man selbst und die anderen bekommen in der Auswertung ebenfalls die Möglichkeit, sich niedrigschwellig anzunähern. Die Begriffe oder Konzepte können je nach Zielgruppe und thematischem Schwerpunkt angepasst werden im Schwierigkeitsgrad und inhaltlichem Schwerpunkt. So kann man Wissensvermittlungskompetenzen stärken.
Was wünscht ihr euch von Plattformen und der Politik in diesem Zusammenhang? Theresa: Als Plattform habe ich zahlreiche Möglichkeiten Kanäle einzuordnen, bei sensiblen Themen auf gesicherte Informationen zu verweisen (Infohub) oder die Plattform so transparent zu gestalten z.B. wenn Filter, Sprachabwandlungen verwendet werden um Misinformation im Vorhinein zu vermeiden. Nutzer*innen können ermuntert werden, ihre Reichweite verantwortungsvoll zu nutzen und Behauptungen mit Quellen zu untermauern. Das mag Desinformationen nicht komplett verhindern, würde aber das Bewusstsein schärfen. Gerade bei jungen Nutzer*innen steht TikTok in der Verantwortung. Dass es geht, zeigten die zusätzlichen Maßnahmen vor der Wahl oder während Corona. Die Politik muss die Plattformen hier stärker in die Pflicht nehmen und sie verpflichten, nachhaltige Strategien zu entwickeln, wie Falschinformationen eingedämmt werden können ohne dabei die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Desinformationen sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Demokratie und das Wahrheitsgefühl, also, dass es so etwas wie eine Wahrheit überhaupt gibt, wird zunehmend durch gezielte Kampagnen angegriffen und erschüttert.
Lieben Dank für das Gespräch!
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