waren Sie schon mal in Sonneberg? Es ist wirklich schön dort - zumindest für weiße Deutsche und wenn man auf dem rechten Auge blind ist. Ich hatte erst einmal das Vergnügen. Auf Einladung der lokalen Bürgerschaft durfte ich über den Umgang mit Rechtsextremismus sprechen. Alle waren da, der Bürgermeister und sogar die damalige Landrätin. Die Anwesenheit von Neonazis war mir bereits auf dem Weg zum Rathaus aufgefallen. Auch berichteten während der Veranstaltung Eltern davon, wie ihre Kinder von Rechtsextremen terrorisiert und sich abends kaum noch auf die Straße trauen würden. Als dann aber einen Großteil des Abends über die Probleme mit Linksextremismus in Sonneberg gesprochen wurde, weil die stalinistische Sekte Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) im Landkreis ein Schulungszentrum betreibt, bekam ich einen Eindruck von der Größe des Problems. Rückblickend lässt es sich am besten mit den Worten Desinteresse und Gleichgültigkeit gegenüber den Nazis beschreiben. Insofern hat mich die von Björn Höcke bundesweit inszenierte Wahl eines AfDlers als Landrat nicht überrascht, unter dem die Menschen vor Ort nun die nächsten Jahre leiden müssen.
Sonneberg ist ein Beispiel von vielen Regionen in Ostdeutschland, die über die 90er Jahre hinaus ein Problem mit rechter Gewalt und Raumgreifung vor Ort haben und heute auch unter hoher Zustimmung zu rechtsextremen Parteien leiden. Wie groß das Problem ist, hat gerade die sogenannte Ostdeutschland-Studie der Uni Leipzig deutlich gemacht, an deren Umsetzung auch das Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung beteiligt war. Viele Ostdeutsche fremdeln demnach mit der liberalen Demokratie, stimmen der Forderung nach „einer einzigen starken Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert“ zu. NS-Relativierung und Antisemitismus sind weit verbreitet und ein Viertel hat ein geschlossen rassistisches Weltbild. Insofern müssen uns weitere Wahlerfolge rechtsextremer Parteien nicht mehr verwundern.
Die Reaktion darauf ist nicht einfach. Sie muss vor allem die Menschen lokal überzeugen und kann nur langfristig in enger Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft, klar demokratisch positionierten Parteien und Kommunalverwaltung funktionieren. Wir in der Amadeu Antonio Stiftung wollen uns dieser Herausforderung gemeinsam mit unseren mutigen Partner*innen vor Ort stellen, die sich seit Jahren engagieren, sei es in der alternativen Jugendarbeit, der Analyse der extremen Rechten in Thüringen, der Arbeit für Geflüchtete oder indem sie Betroffene rechter Gewalt unterstützen. Wir freuen uns, wenn Sie uns dabei weiter mit Interesse, Leidenschaft, Spenden und jeder Art von Unterstützung begleiten. Danke für Ihre Rückendeckung, die uns ermöglicht, lokale Projekte zu fördern, Netzwerke zu knüpfen und Angegriffene zu verteidigen.
Was für ein Zeichen! Danke auch für die überwältigende Reaktion auf die Spendenkampagne „Wie Viel Macht 1€“ zugunsten der mutmaßlich Betroffenen von Till Lindemann, Sänger der Band Rammstein. Initiiert von Jasmina Kuhnke, Nora Tschirner, Carolin Kebekus, Rezo, Roger Reckless, Micha Fritz, Jany Tempel, MeTooGermany & Jannik Rienhoff, durften wir die Kampagne im Rahmen des SHEROES Fund - Held*innen für Demokratie umsetzen. Niemand soll sich entmutigt fühlen, offen über Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch zu sprechen. Deshalb haben wir mitgeholfen, Geld für die mutmaßlich Betroffenen zu sammeln. Uns ist die große Verantwortung, der rund 70.000 Spender*innen und der damit verbundenen Botschaft bewusst und deswegen freuen wir uns über Kooperation mit dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt (bff). Gleichzeitig bitten wir alle Betroffenen, die das noch nicht getan haben, sich bei sheroes.fund@amadeu-antonio-stiftung.de zu melden.
Es sind Aktionen wie diese, die Mut machen und zeigen, was alles möglich ist, wenn Viele an einem Strang ziehen, aufstehen und Betroffene nicht alleine lassen.
Kommen Sie gut durch den Sommer! Ihr Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung
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