Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung unserer Demokratie. Dieses Bekenntnis der alten und der neuen Bundesregierung war offensichtlich - und trotzdem notwendig. Doch was folgt daraus? Bundesinnenministerin Nancy Faeser stellte einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vor, der angesichts der bekannt gewordenen Attentatspläne und Umsturzvorbereitungen von “Reichsbürgern” schnell gealtert ist. Danach war von der Bundesregierung nicht mehr so viel zu hören. Das hat sich jetzt geändert.
In den letzten Wochen wurden wir in verschiedene Ministerien eingeladen. Unser Rat war gefragt. Denn die Bundesregierung will eine ressortübergreifende Strategie erarbeiten: „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“ heißt sie, und “Gemeinsam” soll an dieser Stelle tatsächlich groß geschrieben werden. Denn die Regierung hat zivilgesellschaftliche Organisationen, Vertreter*innen der Wissenschaft und der Bundesländer an einen Tisch geholt, um über drängende Themen zu diskutieren: Politische Bildung, Engagementförderung, Abbau von Rassismus und Antisemitismus, Präventionsarbeit, Hass im Netz, Beobachtung und Repression. Das Vorhaben ist ambitioniert, und ich bin gespannt, wie die Bundesregierung die zahlreichen Anregungen in ihre Strategie aufnehmen wird. Der Handlungsdruck wurde dort besonders spürbar, wo es um die Situation der Betroffenen von rechter Gewalt, strukturellen Rassismus oder die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungserzählungen und Desinformation seit dem russischen Angriffskrieg ging. Auch für die Demokratieförderung muss man angesicht der vielfältigen Herausforderungen von einer notwendigen Zeitenwende sprechen. Ich habe mich gefreut, dass die Bundesregierung dabei endlich die Expertise der Zivilgesellschaft einbezieht - ein längst überfälliges Eingeständnis, dass sie der zentrale demokratiepolitische Akteur ist, der die Werte des Grundgesetzes überall verteidigt und ohne den nichts geht.
Die geplante Strategie muss sich am Ende an vielen Punkten messen lassen: Wird die Zivilgesellschaft nachhaltig gestärkt? Sind der Schutz und die Perspektive von Betroffenen ein wesentlicher Bestandteil? Tut sich etwas bei den Behörden, um Transparenz und Vertrauen herzustellen? Und: Kann sich die Strategie in der Praxis bewähren? Kann sie schnell und wirkungsvoll auf aktuelle demokratiefeindliche Bedrohungen reagieren? Etwa auf Antifeminismus und Transfeindlichkeit, die bei Radikalisierungen zunehmend eine Rolle spielen oder in Bezug auf neue Allianzen innerhalb der rechtsextremen Szene, auf die unser Kollege Jan Riebe in diesem Newsletter mit „Multikulti von rechts?“ eingeht.
Ein großes, wenn nicht gar wachsendes Thema bleibt die Radikalisierung im digitalen Raum. Die Strategie der Bundesregierung muss auch hier mit der Zeit gehen und auf die Orientierung hin zu Telegram, Instagram, TikTok sowie den Gaming-Foren reagieren. Wir tun das bereits jetzt. Mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung ist die Amadeu Antonio Stiftung hier mit dem Projekt “Visualising Democracy” aktiv. Womit sich die Kolleg*innen in diesem Projekt befassen, erfahren Sie im lesenswerten Artikel zu KI und Desinformation und in unserer neuen Handreichung “Katzen, Krieg, Creators”. Ich freue mich, dass wir Ihnen damit einen Einblick in die TikTok-Welt, unsere Arbeit dort und die Gestaltungsmöglichkeiten auf dieser Plattform geben können.
Danke, dass Sie mit Ihren Spenden diese praktische Arbeit und unsere Beteiligung an der übergreifenden Strategieentwicklung als zivilgesellschaftliche Berater*innen möglich machen!
Ihr Timo Reinfrank,
Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung
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