in diesen Tagen erleben wir, wie sich eine Atmosphäre der Gewalt verdichtet. Bei einer Hausdurchsuchung in Reutlingen schießt ein Reichsbürger auf einen Polizisten. In Hamburg tötet ein junger Mann sieben Menschen, getrieben von religiösem Wahn. Und in Freudenberg wird ein 12-jähriges Mädchen von Gleichaltrigen erstochen. Drei Taten, die fassungslos machen, und die zeigen, wie viel noch zu tun ist, im gesellschaftlichen Umgang mit demokratiefeindlichen Strömungen und mit den Opfern solcher Taten.
Der Angriff auf den Polizisten zeigt erneut, wie gefährlich Waffen in den Händen von Reichsbürgern sind. Gut ist, dass die Sicherheitsbehörden ihren Kurs gegen die Szene fortsetzen, denn es handelt sich nicht um „harmlose Spinner“. Dieses Milieu ist zwar heterogen, aber es ist geeint in seinem verschwörungsideologischen Weltbild, hinter dem ein ausgeprägter antisemitischer Wahn steckt. Und beides ist anschlussfähig in verschiedene Richtungen. Der Täter von Hamburg war von religiösem Wahn getrieben, in dem antisemitische, antifeministische und NS-verherrlichende Ideen verbunden waren. Nach dem anonymen Hinweis auf eine psychische Störung konnten die Behörden bei einer Überprüfung der Waffenerlaubnis keine Auffälligkeiten feststellen. Dabei hätte ein Blick ins Netz genügt, um aufmerksam zu werden: Auf seiner Homepage bewarb der Täter sein Buch, in dem er „Hitler als ein Werkzeug Gottes begreift und den Holocaust – wie auch die Coronavirus-Pandemie oder Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine – als Gottesurteile oder ‚Handlungen des Himmels‘“ ansieht, wie Simone Rafael in ihrem Artikel schreibt. Während in Hamburg die gefährlichen Ideen des Täters nicht erkannt wurden, weil der digitale Raum offenbar keine Relevanz für die Polizei hat, führte genau diese Ignoranz der Behörden in Freudenberg dazu, dass Bilder und Klarnamen des Opfers verbreitet wurden und die Täterinnen einer digitalen Selbstjustiz ausgesetzt waren. Eine sich verdichtende Atmosphäre von Gewalt benennen, aufmerksam dafür sein, dass sich Ideologien zur Rechtfertigung von Gewalt verbinden, die Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt stellen - das sind die Ideen hinter der Meldestelle Antifeminismus, die im Februar online ging. Der Hass auf emanzipierte Frauen ist ein nicht zu leugnender Bestandteil von demokratiefeindlichen Einstellungen. Und er ist ein Grundbaustein für tägliche Gewalt. Unsere Gesellschaft nimmt hin, dass die Hälfte der Bevölkerung eine Lebensrealität hat, die von Vorsichtsmaßnahmen, Misstrauen und Vermeidungsverhalten geprägt ist, und dennoch Vergewaltigungsandrohungen und ungefragte Penisbilder erdulden muss. Anstatt sich damit zu beschäftigen, wird Energie darauf verwendet, die Meldestelle selbst zum Problem zu machen. Es bleibt dabei: Nicht das Melden von Gewalt ist ein Skandal, sondern die Gewalt selbst.
Es ist schwer, sich bei der Nachrichtenlage den Optimismus zu erhalten. Aber natürlich brauchen wir den in diesen Zeiten mehr denn je. Die Auftaktveranstaltung der internationalen Wochen gegen Rassismus, zu der ich eingeladen war, eignet sich dafür. Ein Podium im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, ausschließlich besetzt mit Personen mit Einwanderungsgeschichte: das war vor 10 Jahren noch unvorstellbar. Zu verdanken ist das Jana Michael, der Landesintegrationsbeauftragten von Mecklenburg-Vorpommern. Dass sie, die in den 2000er Jahren nach Deutschland einwanderte, an dieser Stelle Einfluss nehmen kann, ist das Ergebnis vieler Jahre beharrlicher und kämpferischer Arbeit.
Optimistisch macht auch der Blick auf unsere geförderten Projekte: Schüler*innen aus Pforzheim haben einen Aktionstag gegen Anti-Schwarzen-Rassismus ins Leben gerufen. O-Ton einer Lehrerin: „Bei vielen Schüler*innen und Lehrer*innen wurde etwas angestoßen. Natürlich verändert sich nicht alles durch einen Tag der intensiven Auseinandersetzung mit Rassismus, aber genau das ist der Punkt, wo wir weitermachen müssen“.
Weitermachen, das ist trotz, oder vielmehr gerade wegen der aktuellen gesellschaftlichen Krisen und Herausforderungen unsere Devise, unser Antrieb. Herzlichen Dank, dass Sie an unserer Seite sind! Ihre Tahera Ameer
Vorständin der Amadeu Antonio Stiftung
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