vor einem Jahr weitete Russland seine Invasion in die Ukraine auf das gesamte Land aus. Ich erinnere mich noch an die Plakate bei einer der ersten Demonstrationen gegen den Angriffskrieg, auf der ich war: „Hitler = Putin“. Das fand ich kontraproduktiv für die Solidarität mit der Ukraine. Heute verstehe ich die Demonstrierenden mit dem Plakat besser. Auch wenn ich Gleichsetzungen immer noch falsch finde, hilft es mir, das imperialistische Streben, die genozidalen Fantasien sowie die zunehmende Diktatur in Russland zu verstehen. Der Krieg ist auch ein Krieg der Desinformation und wird als solcher auch in Deutschland geführt, bis hin zu einer strategischen Zusammenarbeit zwischen dem Kreml und Rechtsextremen. Wir haben die verschwörungsideologischen Erzählungen in unserer neuen Analyse „Eine Waffe im Informationskrieg“ ausgewertet, besonders berücksichtigen wir dabei auch die Wirkung auf die russischsprachigen Communities. Uns ist wichtig, dass Demokrat*innen der Propaganda des Kremls nicht hilflos gegenüberstehen. Ebenfalls jährte sich erst vor wenigen Tagen der rechtsterroristische Anschlag von Hanau. Wir gedenken Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov und fordern weiter die lückenlose Aufklärung des Anschlags. Ich bin sehr froh, dass wir dank einer gemeinsamen Spendenaktion mit der Bildungsstätte Anne Frank, dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene von rechter Gewalt, der Initiative 19. Februar und dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in 184 einzelnen Fällen Angehörigen, Familienmitgliedern und Freund*innen helfen konnten. Für Ihre große Spendenbereitschaft möchte ich mich bei Ihnen nochmals ausdrücklich bedanken.
Auch drei Jahre danach offenbart der Umgang mit dem Anschlag in schrecklicher Weise, wie verhältnismäßig wenig sich bei Polizei und Justiz seit der Selbstenttarnung des NSU verändert hat. Der Anschlag geschah nur sechs Monate nachdem ein anderer Rechtsextremer an Jom Kippur auf die Synagoge in Halle und den nahe gelegenen Kiez-Döner geschossen und zwei Menschen getötet hatte. Beide Anschläge verdeutlichen die ständige Terrorgefahr. Der Nährboden sind Antisemitismus, Rassismus – und Antifeminismus. Den wahnhaften Hass auf Feminismus haben die beiden Attentäter von Hanau und Halle mit vielen anderen gemein. Und in diesem Sinne muss auch die Mutter des Attentäters von Hanau, Gabriele Rathjen, als Opfer von Antifeminismus genannt werden, die er vor seinem Selbstmord umbrachte.
Auch deswegen haben wir eine digitale Melde- und Anlaufstelle für Antifeminismus eröffnet. Sie wendet sich an Betroffene von organisiertem Hass gegen Frauen und Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden. Sie registriert antifeministische Angriffe, Bedrohungen und Diffamierungen - und vermittelt Beratungs- und Hilfsangebote. Die gemeldeten Fälle werden anonymisiert, personenbezogene Daten werden nicht erfasst. Die Meldestelle wird von einem Fachbeirat begleitet und u.a. vom Deutschen Frauenrat und den Bundesverbänden der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe sowie der Gleichstellungsstellen unterstützt.
Sie hat aber zum Teil zu Kontroversen bis hin zum Shitstorm auf Twitter geführt. Die Spiegel-Journalistin Ann-Katrin Müller spricht von den Anfeindungen als der „klassischen AfD-Kritik an der Amadeu Antonio Stiftung, sogar mit Verweis auf die Stasi. Diskursverschiebung live mit anzusehen.“ Der Journalist Matthias Meisner schreibt: Dass „nun Argumente wie ‘Pranger’, ‘Denunziation’ und ‘Einschränkung der Meinungsfreiheit’ wieder auftauchen, kann als Beleg dafür gelten, dass geschlechtsspezifische Gewalt und Hass gegen Frauen als aktuell drängende gesellschaftliche Probleme unterschätzt und verharmlost werden.“ Wir haben die Debatte und die Vorwürfe zum Anlass genommen, mit einem Statement zu erklären, wie die Meldestelle funktioniert. Gleichzeitig danken wir allen Menschen, die sich an die Meldestelle wenden, weil sie für ihr Engagement gegen Sexismus und für Gleichstellung und Selbstbestimmung angefeindet werden - egal ob auf der Straße, im Netz oder auf der Arbeit. Wie zu erwarten, wird die Meldestelle leider auch genutzt, um Hassnachrichten und Drohungen zu schicken. Wenn Sie mögen, schreiben Sie uns gerne Ihre Meinung zur Meldestelle.
Ihr Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung |