Es bewegt sich etwas: Die Integrations- & Antirassismus-Beauftragte der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan hat vor Kurzem den ersten Lagebericht Rassismus vorgestellt. Nicht auf Integration, sondern auf Rassismus wird hier erstmals ein Fokus gelegt. Ein historischer Meilenstein, der zeigt: Rassismus wird endlich auch politisch ernst genommen. Und, was uns besonders freut: Die Perspektive der Betroffenen steht im Vordergrund. Ein dringend notwendiger Paradigmenwechsel, den wir sehr begrüßen. Auch erkennt der Bericht an, dass Rassismus Teil polizeilicher Praxis ist und sich strukturell in der Ermittlungsarbeit wiederfindet. Wir sehen viele gute Ansätze, die Auseinandersetzung mit Rassismus anzugehen, die es nun zu konkretisieren und umzusetzen gilt.
Denn wie wichtig es ist, institutionellen und strukturellen Rassismus explizit zu benennen und gesamtgesellschaftlich zu ächten und zu bekämpfen, zeigte uns die rassistische Stimmungsmache die - das Jahr war noch keine 48 Stunden alt - sich im Zuge der Gewalt in der Silvesternacht in Berlin-Neukölln Bahn brach. Von „kultureller Überfremdung“, „Phänotypen“, „gewaltbereiten Integrationsverweigerern“ sprachen Politiker*innen aus den ersten Reihen der FDP, CDU und SPD. Ich bin nicht bereit, diese kontinuierliche Normalisierung von Rassismus hinzunehmen.
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Dass diese Binsenweisheit überhaupt anerkannt wurde, war ein zäher und würdeloser gesellschaftlicher Prozess. Die Haltungen, die in der Debatte rund um die Silvesternacht zum Ausdruck kommen, zeigen, dass wir weit davon entfernt sind, eine inklusive Einwanderungsgesellschaft zu sein - ja, es überhaupt sein zu wollen. Das ist für mich nicht überraschend, aber es bestürzt mich immer wieder aufs Neue.
Die Ursachen für die Eskalationen in der Silvesternacht sind ein Mosaik aus erlernter Gewaltbereitschaft, gefährlichen Männlichkeitsbildern, gefühlter Perspektivlosigkeit, mangelnder Teilhabe, und einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Repräsentant*innen. Um Jugendgewalt zu begegnen, braucht es fachliche Standards, eine positionierte Sozialarbeit und die Einsicht, dass jede Person, die in Deutschland lebt, unabhängig davon, welchen Vornamen sie trägt, wie sich sie verhält und woher ihre Großeltern kommen, Teil dieser Gesellschaft ist. Das ist nicht verhandelbar und es darf nicht jedesmal wieder aufs Neue so getan werden, als stünde dies zur Debatte!
Mit der Normalisierung von Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus werden wir uns also auch in diesem Jahr wieder auseinandersetzen müssen; ganz im Sinne des ersten Lagebilds Rassismus der Bundesbeauftragten: aus der Perspektive und an der Seite der Betroffenen - so wie wir es schon immer getan haben.
Und dass wir das tun können, haben wir sehr vielen Menschen unter Ihnen, liebe Leser*innen, zu verdanken! Viele von Ihnen haben uns gespendet und uns damit ihre Wertschätzung erwiesen. Sie können nicht ermessen, wie dankbar wir Ihnen sind, dass Sie sich trotz der enorm gestiegenen Energiepreise, einer hohen Inflation und einer schwierigen Wirtschaftslage dafür entschieden haben!
Dank Ihnen können wir auch in diesem Jahr Betroffene unterstützen und ihre Perspektive sichtbar machen. Wir werden weiterhin Menschenfeindlichkeit beim Namen nennen und rassistische Stellvertreterdebatten entlarven.
Und wir können weiterhin die so dringend benötigten Projekte vor Ort finanziell fördern. In diesem Newsletter stellen wir Ihnen die wichtige Arbeit des Korea-Verbands vor. Ab sofort können Sie auch andere tolle Projekte in unserem neuen Podcastformat „Demokratieheld*innen im Gespräch“ kennenlernen. Diese Menschen, die sich täglich vor Ort für Demokratie einsetzen, konnten wir dank Ihrer Spenden unterstützen. Dafür danken wir Ihnen allen von ganzem Herzen!
Ihre Tahera Ameer
Vorständin der Amadeu Antonio Stiftung
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