Videos mit frauenfeindlichen und rassistischen Aussagen, veröffentlicht mit dem Hashtag #AndrewTate, wurden bis Ende 2022 12,7 Milliarden Mal auf TikTok aufgerufen. Eine folgende Sperrung der Inhalte des ebenso misogynen wie von jugendlichen Männern bewunderten Ex-Kickboxers Tate mit eigener Social Media-„University“ brachte online Begeisterung und Empörung hervor. Die Inhalte sind weiterhin da. Das zeigt: Hate Speech (deutsch: Hassrede) ist mehr als ein Randphänomen auf sozialen Plattformen. Und gar nicht so leicht zu bearbeiten.
Themen Hate Speech / TikTok / Antifeminismus / Antiseminismus
Doch beginnen wir von vorne…
Was ist Hate Speech?
Hate Speech findet sich auf TikTok besonders in Videos und Kommentaren wieder und richtet sich gegen einzelne Personen oder Personengruppen, besitzt aber immer eine politische Dimension. Denn der Hass speist sich aus dem Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) und äußert sich in Ideologien der Ungleichwertigkeit. Es ist also beispielsweise als Antisemitismus, Rassismus, Sexismus oder auch als Abwertung von Sinti*zze und Rom*nja.
Hate Speech wird also nicht durch das Verhalten einer Person auf der Plattform ausgelöst, sondern richtet sich gegen eine Person aufgrund der Gruppenzuschreibung: Als Frau, als Mensch mit Migrationsgeschichte, als Muslim. Damit ist Hate Speech immer auch eine Botschaft an die ganze Gruppe! Dabei darf in Deutschland niemand aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung Religion oder Behinderung diskriminiert werden. Das gilt auch im digitalen Raum. Auch hier haben Abwertungen und Anfeindungen immense Auswirkungen. Digitale Gewalt ist reale Gewalt.
Hate Speech auf TikTok
In der JIM Studie zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen aus dem Jahr 2022 gaben 55% der Befragten zwischen 12 – 19 Jahren an, häufig bis gelegentlich Hate Speech wahrzunehmen, wobei TikTok hinter Instagram den zweiten Platz belegt. Meist wird Hate Speech beiläufig in Kommentaren wahrgenommen, aber es gibt auch hasserfüllte Posts oder Videos. Besonders oft trafen die Jugendlichen dabei auf Homofeindlichkeit, Abwertung von Körperlichkeit (Bodyshaming), Rassismus und Sexismus.
Hate Speech ist eine gezielte Strategie antidemokratischer Akteur*innen, um Menschen zu degradieren, sie mundtot zu machen und online Raum einzunehmen. Es ist aber auch eine Botschaft in die eigenen Reihen: Antidemokratische Ideologie wird verbreitet und gefestigt, potenzielle Anhänger*innen werden akquiriert, Netzwerke entstehen, in denen Menschen sich radikalisieren können.
Auch die Plattformen sind oftmals überfordert mit der schier endlosen Masse an Hasskommentaren und –videos oder verschiedenen Strategien von sog. „Hatefluencer*innen“, die einer Zensur und Löschung entkommen wollen.
Deshalb ist es wichtig, dass junge Menschen und Erwachsene in der medienpädagogischen Bildung einen geeigneten Umgang mit Formen digitaler Gewalt lernen – und fordern, das die Plattformen sie unterstützen. Ein Augenmerk auf Medienkompetenz zu legen hilft aber allen jederzeit.
Beispiele von Hate Speech auf TikTok
Antisemitismus
Lily Ebert, eine Überlebende des Holocaust, ist zusammen mit ihrem Großenkel auf TikTok aktiv ist (Lily Ebert & Dov Forman). Sie erfährt regelmäßig antisemitische Anfeindungen auf der Plattform. Hier am Beispiel verschiedener Kommentare zu sehen. Viele jüdische Creator*innen erfahren tagtäglich Hass und Hetze.
Antifeminismus / Misogynie
Femizide als vermeintlicher „Spaß“ – ein antifeministischer Trend aus dem Jahr 2022. Hierbei ergötzen sich Video-Creatoren an imaginierte Mord an Frauen. In den Videos zeigen sich meist junge Männer und beschreiben, wie sie eine Frau auf einem Date umbringen würden (Bild links: „Stell dir vor wir gehen Wandern und ich schubse dich vom Berg und du stirbst“). Die meisten Videos wurden mittlerweile durch die Plattform gelöscht. Doch auch zahlreiche weitere antifeministische Trends und Akteur*innen sind auf der Plattform aktiv oder gehen viral – wie am Eingangsbeispiel Andrew Tate deutlich wird, der in Videos Jungen ab 13 Jahren erläutert, warum sie mehr wert wären als Frauen und diese entsprechend behandeln sollten.
Und was macht TikTok gegen Hate Speech?
Die Plattform ist bemüht, durch einen technischen Filter-Mechanismus und den Einsatz von Moderationsteams gegen Hate Speech vorzugehen. Dies tun sie aber vor allem nach Meldungen durch Nutzer*innen – es lohnt sich also, Vorfälle zu melden. Selbst wenn sie nicht sofort gelöscht werden, trägt jede Meldung zur Bewusstseinsbildung im Unternehmen bei. Leider sind Hater*innen ziemlich kreativ und haben lange Atem. So wird die Verfolgung von Inhalten und Nutzer*innen durch verschiedene Strategien und Funktionen auf der Plattform (z.B. neue Accounts erstellen, Umwegskommunikation durch „Algospeak“, etc.) erschwert.
Was kann man tun gegen Hate Speech?
Wenn Euch Hate Speech begegnet, zeigt Euch solidarisch mit den angegriffenen Personen. Es hilft den Betroffenen zu wissen, dass sie nicht alleine sind. Das kann über eine direkte Nachricht an die Personen oder über eine Antwort in der Kommentarspalte geschehen. Geht auf die Personen ein und fragt sie, ob und was für Hilfe sie brauchen.
Wenn Ihr selbst aktiv werden wollt, hilft es, klare Kante zu zeigen und die Grenzen des Sagbaren zu markieren. Nutzt die Kommentarfunktion, um auf Hass und Hetze hinzuweisen und Gegenargumente anzubringen. Eine praktische Hilfe für das Gegenargumentieren („Counter Speech) findet ihr in der Publikation „Menschenwürde online verteidigen - 33 Social Media-Tipps für die Zivilgesellschaft“ von Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz – oder besucht doch den passenden Email-Kurs!
Eine weitere Möglichkeit ist das Melden von Inhalten. Nutzt dafür direkt die Plattform TikTok. Wenn ihr euch unsicher seid, ob ihr einen Inhalt melden sollt oder dieser sogar strafrechtlich relevant ist, helfen euch die Internetbeschwerdestelle oder jugendschutz.net.
Falls ihr selbst betroffen seid von Hate Speech und Hilfe benötigt, nutzt die Beratungsangebote von Hate Aid oder Juuuport.
Weitere Infos und Hilfe findet ihr auch in der der Flyerreihe „Was tun gegen Hate Speech“ der Amadeu Antonio Stiftung.
... und noch eine kleine Empfehlung zum Schluss
Da es viele Kanäle und Nutzer*innen gibt, die entschieden gegen Hate Speech vorgehen und tolle Arbeit auf der Plattform leisten, wollen wir euch an dieser Stelle den Kanal der Bildungsstätte Anne Frank ans Herz legen. Diese setzen mit der Kampagne #gemeinsamgegenantisemititmus ein entschiedenes Zeichen gegen antisemitische Hetze und rufen dazu auf, selbst aktiv zu werden.
So viel erstmal von uns! Wir freuen uns über jegliche Rückmeldungen, Fragen oder ein paar nette Worte – schreibt uns einfach, falls ihr was loswerden wollt: