FactsOverFakes: auf diese TikTok-Funktionen sollten Sie achten
In unserem letzten Newsletter haben wir uns bereits ausführlich mit den Auswirkungen des Algorithmus-basierten Feeds auf die Verbreitung von Desinformationen auf TikTok beschäftigt. In der heutigen Ausgabe gehen wir näher darauf ein, wie weitere Plattformfunktionen von TikTok die Verbreitung von Falschinformationen befördern und was wir dagegen tun können. Themen Desinformation / TikTok / TikTok-Funktionen
Im folgenden Newsletter werden einige Begriffe verwendet, die spezielle Funktionen der Plattform TikTok bezeichnen. Wer noch mehr über diese Begriffe erfahren möchte, kann sie jederzeit in unserem TikTok-Glossar nachschlagen.
Die Zielgruppe
In der diesjährigen JIM Studie zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen gaben 25% der Zwölf-bis 19-Jährigen an, TikTok regelmäßig für die Beschaffung von Informationen über das aktuelle Tagesgeschehen zu nutzen. Damit liegt TikTok hier auf Platz 3.
Bekannt geworden ist TikTok durch eine Videolänge von maximal 60 Sekunden. Mittlerweile lassen sich zwar Videos von bis zu zehn Minuten Länge hochladen und drei Minuten In-App aufnehmen, aber ein Großteil des erfolgreichen Contents ist weiterhin sehr kurz. TikTok selbst empfahl noch im November 2021 21 bis 34 Sekunden als optimale Videolänge für erfolgreiche Videos. Gleichzeitig ist ein Großteil der TikTok-User*innen noch immer sehr jung. 2021 gaben rund 33 Prozent der 14- bis 25-Jährigen an, TikTok zu nutzen.
Insbesondere jungen User*innen fällt es schwer, in der kurzen Zeit komplexere Zusammenhänge richtig zu erfassen und in Videos aufzubereiten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Quellen nur umständlich angeben lassen. Denn TikTok erlaubt einen Link zu einer externen Plattform – mit Ausnahme von Wikipedia – nur im Profil, nicht aber direkt im Video. So müssen externe Anbieter genutzt werden, wenn man mehr als nur eine Quelle angeben will.
Das fehlende Datum
TikTok lebt von Aktualität. Auf der Plattform werden aktuelle Themen diskutiert und dort entstehen Trends und Memes, die dann zum Teil auf anderen Social-Media-Plattformen erst Wochen später ankommen. Auf der ForYou-Page – also dem Feed, der vom Algorithmus zusammengestellt wird – wird allerdings nicht angezeigt, wann ein Video ursprünglich gepostet wurde. Durch einen Blick auf das Alter von Kommentaren kann man zwar Rückschlüsse auf das Veröffentlichungsdatum ziehen, aber erst durch einen Klick auf das Profil der Creator*in und einer oft langwierigen Suche nach dem jeweiligen Video wird es einem tatsächlich angezeigt.
Denn auch alte Videos werden vom Algorithmus zum Teil Monate nach der ersten Veröffentlichung wieder auf der FY-Page angezeigt und können dann immer noch viral gehen. Insbesondere bei Videos zu aktuellen Themen sehen wir hier eine große Gefahr der Missinformation. Denn was einmal aktuelle Nachricht war, ist ein paar Monate später oft nicht mehr zutreffend. Man denke nur zum Beispiel an die Zeit der Corona-Regelungen zurück: Gesetzeslagen änderten sich, neue Erkenntnisse kamen dazu, wissenschaftliche Erkenntnisse und Erklärungsversuche waren auf einmal überholt – und das im Wochentakt.
Stitch und Duett
Anders als auf anderen Plattformen kann man auf TikTok die Videos anderer Creator*innen nicht auf dem eigenen Profil teilen. Das geht nur, wenn man mit einem eigenen Video darauf reagiert. Dafür gibt es zwei Funktionen. Entweder indem man ein paar Sekunden des Originalvideos zeigt und im Anschluss ein eigenes Video aufnimmt: ein sogenanntes “Stitch”. Oder indem man das Originalvideo abspielen lässt und parallel dazu ein eigenes Video als Reaktion aufnimmt und beide Videos gleichzeitig angezeigt werden: ein sogenanntes “Duett”.
Doch diese Funktionen bringen auch Probleme mit sich. Zum einen zeigt ein Stich immer nur einen sehr kurzen Ausschnitt (maximal fünf Sekunden) des Originalvideos. Aussagen können so leicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. Zum anderen ist ein Duett beziehungsweise Stitch auch dann noch einsehbar, wenn das Originalvideo bereits längst durch die Moderation gelöscht wurde, beispielsweise wegen Falsch- oder Misinformation. Auch so ist Desinformation weiterhin auf der Plattform sichtbar und kann sich weiterverbreiten.
Ein fremder Sound?
Bevor es nun um die Sound-Funktionen von TikTok geht, lohnt ein kurzer Blick auf die Entstehung der Plattform. 2017 übernahm ByteDance die Plattform Musical.ly. Musical.ly war insbesondere dafür bekannt, dass junge User*innen zu Popsongs sogenannte Lip Syncs aufnahmen, also bei Liedern die Lippen mitbewegten, als würden sie selbst singen. 2018 wurde die Plattform jedoch eingestellt und die User*innen wurden zur Geschwister-App TikTok importiert.
Die Funktion ist aber im Kern geblieben: Prinzipiell kann man von jedem auf der Plattform öffentlich geposteten Video den Originalton übernehmen und für das eigene Video nutzen – sofern das Video nicht selbst einen zusätzlichen externen Sound verwendet. Das muss auch kein Musikvideo sein, selbst von Erklärvideos können Lip Syncs angefertigt werden. Insbesondere bei Videos über den Krieg in der Ukraine oder über aktuelle Konflikte wie beispielsweise im Iran werden so Töne unter Videos gelegt, die die Situation dramatischer erscheinen lassen und im schlimmsten Fall aus dem Zusammenhang reißen.
Verantwortung, Reichweite und Belohnungen
Das Ziel von TikTok-Creator*innen, die öffentlich posten, ist in der Regel eines: viral gehen. Es geht also darum, eine möglichst große Reichweite und viel Aufmerksamkeit für das eigene Video zu generieren. Die Besonderheit von TikTok: Das kann auch gelingen, ohne dass man viele Follower*innen hat oder vorher bekannt war. Entscheidend ist, ob und wie der Algorithmus das Video bewertet und ausspielt. Und wenn wir auf TikTok von „viral“ sprechen, dann meinen wir nicht ein paar Tausend Views, sondern dann geht es häufig um eine Reichweite von einigen Zehntausend bis zu mehreren Millionen Aufrufen. Insbesondere mit Blick auf die jungen User*innen kann das zu Problemen führen.
Ab 10.000 Follower*innen und 100.000 Aufrufen im letzten Monat kann man sich für diesen Fund mit nur wenigen Klicks bewerben und wird dann von TikTok für seine Reichweite bezahlt. Gerade bei kleinen Creator:innen sind das nur sehr geringe Beiträge. Doch es hat sich gezeigt, dass schon eine geringe Bezahlung bei der Verbreitung von Desinformation förderlich sein kann. Ein junger Mann lädt zum Bundestagswahlkampf ein Video über die Grünen hoch, das thematisiert, was angeblich passieren wird, wenn diese Teil der Regierung werden. Das Video erreichte damals mehr als eine Millionen Menschen. Doch es enthält Falschinformationen. Der Creator wird von Journalist:innen auf diese angesprochen und gefragt, ob er nicht das Video von der Plattform nehmen will. Doch er verneint - mit einem Verweis auf den Kreativitäts-Fond und die Einnahmen, die er bereits durch das Video erhalten hat.
Die zunehmende Verzerrung von Realität: Voice Filter, AR und Co.
Deepfakes und Synthetic Media sind in aller Munde, doch auch die Plattform TikTok selbst bietet immer neue Möglichkeiten, das eigene Gesicht anzupassen beziehungsweise die eigene Stimme zu verändern. Ein klassisches Beispiel ist der Beautyfilter, den TikTok seinen User*innen bei der Aufnahme in der App anbietet. In den Voreinstellungen lassen sich unter anderem die Zähne aufhellen, die Haut weichzeichnen und die Wimpern dunkler schminken – alles natürlich von null bis hundert manuell verstellbar – also von kaum auffällig zu stark sichtbar.
Aber das ist noch nicht alles: Die Plattform arbeitet konstant an ihren In-App-Aufnahmefunktionen. Erst seit wenigen Tagen sind auch in Deutschland neue Filterfunktionen für die Stimme verfügbar. Diese funktionieren so: Man nimmt in der App ein Video auf und spricht ganz normal und in der Nachbearbeitung kann man dann einen Filter über die eigene Stimme legen. Ursprünglich waren das eher stark überzogene und lustige Stimmen, die neuen Funktionen aber sind sehr realitätsnah. So erscheint die Stimme beispielsweise tiefer und „männlicher“ oder geben einem die Stimme einer alten Frau. Ob ein:e Creator:in einen dieser Filter nutzt, wird den User*innen nicht angezeigt. Die Grenzen zwischen Realität und Wirklichkeit verschwimmen immer mehr und es wird schwerer zu unterscheiden, was echt und was bearbeitet ist.
Worauf achten? Content Check!
Gerade weil Botschaften in TikToks nur im Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Ebenen vermittelt werden, ist eine detaillierte Analyse der einzelnen Ebenen oft unumgänglich, um Desinformationen zu erkennen. Bei der Analyse können folgende Fragen hilfreich sein:
Aktuelles aus dem Projekt Visualising Democracy
Kampagne "#FactsOverFakes"
Noch bis zum 16. Dezember läuft auf TikTok unsere Kampagne #FactsOverFakes. Ziel ist es, über Desinformationen auf sozialen Plattformen zu informieren und gezielt dagegen vorzugehen. Schaut gerne auf dem Account der Amadeu Antonio Stiftung oder unter dem Hashtag #FactsOverFakes vorbei und verfolgt unsere Arbeit oder macht selbst noch bis Freitag ein Video gegen Desinformation.
Im Zuge der Kampagne #FactsOverFakes stellen wir unser Projekt auf TikTok vor.
In diesem Video zeigen wir 5 einfache Schritte, um Falschnachrichten auf TikTok zu melden.
So viel erstmal von uns! Wir freuen uns über jegliche Rückmeldungen, Fragen oder ein paar nette Worte – schreibt uns einfach, falls ihr was loswerden wollt: